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hmins

Yamaguchi Reiko | Yu Simiao
Mit einem Text von Julia Zalewski


PART l

19.12.2017 | 20.12.2017 | 21.12.2017

Dort, wo der Punkt zur Linie wird, legt er eine Spur. Sie verrät wenig darüber, was ihn bewegt und wo er hinwill. Wohl aber bezeugt sie, dass er mit Sicherheit da gewesen sein muss.
Als eine Grundtechnik der Zeichnung bildet die Linie den Ausgangspunkt des gesamten Zeichenreichtums unserer Kunst- und Kulturgeschichte. Die Arbeit hmins möchte ihre basale, prozessartige Entstehung vom Punkt zur Linie zur Zeichnung im Schnittraum installativ ergründen. Im Zentrum des Raumes ist dafür eine hohe, sockelartige Vorrichtung platziert, die drei Lichtstrahlen über unsere Köpfe hinweg durch den Raum wandern lässt. Sie bewegen sich horizontal in die gleiche Richtung, jedoch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Höhen. Ihre Lichtpunkte werden an die Wände des Schnittraums geworfen, welche mit einem grünen, lichtempfindlich beschichteten Stoff eingekleidet sind. Diesen belichten sie in der Bewegung, sodass Linien entstehen – bedächtige Spuren, die jeden Moment der Ausstellung an der Wand dokumentieren. Die Linien lassen somit eine neue Lesbarkeit des Raumes zu: Seine Dimensionen und die variierenden Distanzen zum Angelpunkt werden mit dem Licht sekündlich vermessen und in unregelmäßige Wandlinien übersetzt; wie ein Bleistift, der auf einem unebenen Malunteruntergrund starke und weiche Druckpunkte erzeugt.
Bei genauerer Betrachtung lässt sich feststellen, dass die Lichtstrahlen jedoch nicht etwa willkürlich durch den Raum wandern – sie sind an den Zeigern dreier Uhrwerke fixiert. Sekunden, Minuten, Stunden. Wie ein Leuchtturm, der uns den Weg aus dem ewigen Chaos der Welt zu weisen versucht, dirigieren sie den Rhythmus des Uhrwerks durch den Raum und übersetzen ihn linienförmig an die Wand. Der Punkt wird zur Linie, der Moment zur Zeit. Die Zeit hinlässt ihre Handschrift an den Wänden, die Zeiger ihrer Uhr spielen die Finger, die das Licht wie einen Pinsel über das Papier führen. Einen linearen Zeitstrahl erzeugt sie jedoch nicht, vielmehr einen in den Grenzen des Schnittraums gefangenen Zyklus. Denn nach einer Minute, einer Stunde und zwölf Stunden werden sie ihre Ausgangspunkte überschreiben und sich – die Zyklen wiederholend – in den ewigen Loop der Zeit begeben.
In ihrer ersten gemeinschaftlichen Arbeit hmins lassen Reiko Yamaguchi (*1982 in Okayama, Japan) und Simiao Yu (*1986 in Tianjin, VR China) Zeit, Licht und Raum in einen sonderbaren Dialog miteinander treten: Zeit wird hier im Medium des Lichts verräumlicht, der Raum im Medium der Linie verzeitlicht. Diesem Prozess liegt ein Zeitverständnis zugrunde, das sich in der unaufhaltsamen Mechanik des dreigliedrigen Uhrwerks manifestiert – ein modernes Maß, unter dessen Diktat wir unsere alltäglichen Abläufe takten und unser Denken organisieren.

PART ll

16.01.2018 | FINISSAGE

Zeit definiert Veränderung und Veränderung definiert Zeit. So wird sich auch der Schnittraum zur Finissage am 16.01.2018 in einem völlig neuen Zustand wiederfinden. Die grüne, lichtempfindliche Beschichtung wird aus dem Stoff der Wände ausgewaschen und die zurückbleibende, blaue Zeichenspur damit entwickelt. Ab diesem Moment ist sie erstarrt und unveränderbar. Im zweiten Teil der Ausstellung wird sie aus ihrem zeitbasierten, lichtmalerischen Entstehungskontext separiert und als autonomes Werk betrachtet. Der eigenständige künstlerische Ausdruck der Linie wird nun in den Fokus genommen, während Zeichenmittel und Zeichengerät in den Hintergrund rücken.

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Gadiel Aguirre Travi und Reiko Yamaguchi

Sprechende Hände

Ausstellungseröffnung am 30.10.2015 um 19:00 Uhr

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Fotos:  Jan Neukirchen

Die Semiologie unterscheidet grundlegend zwischen dem Bezeichnetem
und der Bezeichnung.1 Diese Begriffe beschreiben den Zusammenhang
zwischen dem gemeinten Objekt und dem sprachlichen Hilfsmittel, das
benutzt wird, um darüber zu sprechen. Um diesen Zusammenhang sichtbar
zu machen, bedienen wir uns einer Geste, die so elementar ist, dass wir sie
im Alltag wahrscheinlich kaum noch als sprachlichen Akt wahrnehmen:
dem Zeigen. Indem wir auf etwas zeigen, machen wir deutlich, was wir
meinen und wovon wir sprechen. Wir unterstützen unsere Rede, indem wir
mittels unserer Hände Vorstellungsbilder beim Gesprächspartner
hervorzurufen suchen. Wie lässt sich nun aber diese alltägliche
Sprachpraxis in ihrer Funktionsweise verstehen und selbst als solche
abbilden, ohne damit etwas anderes zu meinen – wie kann man zeigen ohne
etwas zu bezeichnen?
Dieses Thema behandeln Gadiel Aguirre Travi (*1990 in Juanjui, Peru) und
Reiko Yamaguchi (*1982 in Okayama, Japan) in ihrer ersten gemeinsamen
Ausstellung „Sprechende Hände“.
In der gleichnamigen Videoarbeit zeichnen die beiden Künstler mit dem
Zeigefnger die Handbewegungen verschiedener Politiker aus
unterschiedlichen Ländern während deren Reden mit. Dieses
Nachvollziehen erscheint als eine Analyse, wobei die Künstler keinerlei
Kommentare zu den gezeigten Gebärden abgeben. Durch ihr Hinweisen auf
die Hände der Politiker wird deren Gestik besonders augenfällig und man
meint, durch den Rhythmus und Richtung der Handbewegungen etwas
über den Sprecher erfahren zu können. Stimmung und emotionale
Aufadung der Rede, sowie der persönliche Charakter drücken sich in der
Körpersprache aus und so lässt sich auch ohne zu hören, über was
gesprochen wird, ein bestimmter Informationsgehalt erfassen.
Die Performance Touch me setzt dagegen die Idee der Verständigung mittels
der Zeichnung um. Besucher zeichnen mit ihrem Finger auf dem Rücken
einer der beiden Künstler. Dieser steht an einem Overheadprojektor und
zeichnet auf der Projektorplatte mit, was er auf seinem Körper fühlt. Das
Ergebnis wird auf dem Lichtbild an der Wand sichtbar. In den
entstandenen Zeichnungen lässt sich einerseits simultan, auf einen Blick,
erfassen, was sich sukzessiv ereignet hat. Andererseits lassen sich die Linien
auch langsam nachverfolgen, wodurch ein äußerer Beobachter der Situation
sehen und miterleben kann, was in dem intimen Kontakt zwischen Künstler
und Performanceteilnehmer unsichtbar stattgefunden hat.
Die Linie ist dabei sowohl das Grundelement der Schrift als auch der
Zeichnung. Vielleicht entdecken Künstler gerade jetzt – da sich ein
unmerklicher Wandel dieses Paradigmas vollzogen hat und eigentlich der
Punkt, das Pixel, das Bit zur Grundstruktur unseres Schrift- und
Bildaufbaus geworden ist – das direkte Erfahren des Zusammenhangs von
Realität und seiner Abbildung durch das Nachziehen einer Spur mit
analogen Mitteln für sich neu.
Diese unmittelbare Zeichenerfahrung zeigt sich auch in der Serie
Doppelporträt, die in einem Workshop mit ca. 40 Personen entstand. Den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde die Aufgabe gestellt, sich in
Zweiergruppen einander gegenüber zu setzen und innerhalb einer Minute
ein Porträt ihres Partners zu zeichnen. Dafür sollten sie eine Acrylglasplatte
zwischen ihren Köpfen halten und das Gesicht ihres Gegenübers anhand
der Umrisse, die sie durch die Scheibe sehen, nachzeichnen. So entstanden
jeweils zwei sich überlagernde Linienporträts, die in der Ausstellung auf
einem Monitor präsentiert werden. Da die Mitwirkenden in ihrem Alltag
kaum bis gar nicht zeichnen, lässt sich annehmen, dass sie sich der Aufgabe
unvoreingenommen und ohne auf praktische Erfahrung zurückgreifen zu
können, stellten. Die Porträts sind daher Produkte der subjektiven
Wahrnehmung des Gegenübers im aktuellen Moment, was ebenso viel über
das Dispositiv der Zeichensituation wie über Zeichner und Gezeichneten
aussagt.
Die Gemeinschaftsarbeiten von Gadiel Aguirre Travi und Reiko Yamaguchi
machen Bewegungsabläufe sichtbar und geben Einblick in die
Prozessualität ihrer künstlerischen Arbeit. Somit wird in der Ausstellung
„Sprechende Hände“ der performative Aspekt der Zeichnung für den
Besucher erfahrbar und der übliche Begriff dieser althergebrachten Gattung
um ihr kommunikatives Potential erweitert.

1Vgl. z.B. Ferdinand de Saussure. In: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 3.Aufage, Berlin 2001, S. 76f.

Text von Anna Bauer