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Ausstellungseröffnung 13.12.2012
Text von Tim Glindemann
In einem gemeinsamen Projekt bespielen die Künstlerinnen Geraldine Oetken und Friederike Jäger einen Raum, finden zusammen und vereinen dabei unterschiedlichste Techniken und Ausdrucksformen im Dialog, einen mystischen Raum eröffnend. Video und Malerei, Klang und Skulptur, Optisches und Haptisches stehen sich gegenüber, überschneiden sich und verschwimmen. Schon gedachte oder vorhandene Arbeiten werden neu gedacht, geben zusammen etwas ganz Neues und definieren für die Künstlerinnen einen Status Quo des Sichfindens in der Kunst.
Friederike Jäger hat ihre Schwerpunkte in der Zeichnung und Malerei mit Öl, vertieft sich jedoch auch in Klangkunst und hat keine Scheu, zur Straßenmalkreide zu greifen, um sich Ausdruck zu verleihen: Wie ein bunter Teppich aus Farben und Formen breitet sich die Kreide in „Scribbles“ über den Boden, die Begrenztheit der Ebene des Raumes sprengend aus und lässt uns nach Orientierung, nach Fixpunkten in der Struktur von nervösen, sprunghaften Zeichnungen suchen, die im Halbdunkel des Raumes diffundieren und ihre Farben zögernd preisgeben.
Daneben eine scheinbar geschlossene Anordnung. Ein Archiv von Skizzenbüchern der Künstlerin füllt ein Regal über einem angedeuteten Schreibtisch an der Wand. Was nun geschieht, bricht die Ordnung wieder auf: An der Unterseite des Regals befindet sich eine 50 Meter-Rolle Transparentpapier, auf dem die Künstlerin die eingeschlossenen Gedanken und Gefühle aus der Erinnerung zeichnerisch wieder abwickelt, das abgelegte in einem performativen Akt neu auflegt, den Prozess des Nachdenkens nicht abreißen lässt und im Raum ausbreitet, ihn dabei teilt und füllt; eine Parallele zur Videoinstallation Geraldine Oetkens.
Man findet in ihren Arbeiten immer das Erlebbarwerden eines Prozesses, in dem sich Farben und Formen oder Klänge, nach und nach, in Schichten überlagern, auslöschen und Beziehungen entwickeln und in dem die Künstlerin immer wieder vor Entscheidungen gestellt wird. Herausforderungen, die auch beim gemeinsamen Entwickeln des Ausstellungskonzepts zu bewältigen waren und offensichtlich wurden. Die Werke fordern einen aufmerksamen Betrachter, der forschend, Schicht um Schicht, Teilhaber wird und selbst in einen Prozess des Suchens, Denkens und Assoziierens gerät.
Die Arbeiten Friederike Jägers in der Ausstellung lehnen sich an Malerei und Skulptur an, definieren diese Begriffe jedoch auf ihre ganz eigene Art, wirken dabei händisch, solide, doch verträumt und verspielt und geben intimen Einblick in die Prozesse der Entstehung.
Geraldine Oetken drückt sich bevorzugt durch die digitale Fotografie und Video aus und hat ein leidenschaftliches Verhältnis zu diesen Techniken entwickelt, das sie diszipliniert pflegt, obwohl man auch ihr eine Vielseitigkeit zuschreiben muss, die sich bis jetzt in installativen Arbeiten mit Licht, Sound und ebenfalls in der Bildhauerei zeigte.
Die Videoinstallation „November“ füllt den Raum mit Licht und einer leisen, zarten Klangkulisse. Es handelt sich um einen digitalen Videoloop von 8:20 min Länge, der durch einen Beamer auf eine mittig im Raum zu schweben scheinende, halbdurchlässige Leinwand geworfen wird und so zu einer Lichtskulptur wird. Das Video bleibt abstrakt und hat scheinbar weder Anfang noch Ende. Wir sehen viel Helligkeit; Weiß, das jedoch immer wieder und unregelmäßig durch flimmernde, wiegende, in der Intensität und Form changierende Schattenformen durchbrochen wird. Aus dem Hintergrund können wir ein unaufdringliches Rauschen und Vogelgesänge belauschen.
„Ich möchte Sonnenlicht sammeln. Das ist sehr simpel.“ Was sich wie die naive Vorstellung eines Kindes anhört, ist der Künstlerin unter hohem Arbeits- und Zeitaufwand mit diesem Video gelungen, wobei hier auf die genaue technische Umsetzung nicht weiter eingegangen werden soll, um die Illusion aufrechtzuerhalten und ein Träumen zuzulassen, vielleicht auch ein bedrückendes, negatives Gefühl, welches durch die suggerierte Endlosigkeit und die ungebrochene Präsenz im Raum entstehen kann; der Traum birgt das Potential des Alptraums in sich.
Träume sind ein wichtiges Thema für die Künstlerin. Viele Ideen hängen bei Geraldine Oetken mit Tagträumen, die sie als einen flüchtigen, aber durch das Bewusstsein beeinflussbaren Raum zwischen Realität und Traum und sieht, zusammen. Ein Raum um Ideen zu schöpfen, die grotesk, surreal, mit der Realität spielend erscheinen, wie es in einem Video, in dem die Künstlerin das Grau des Himmels wegzuwischen versucht, anmutet. Eine Idee ist bei der Künstlerin Ausgangspunkt für ein Konzept, das, auch spielerisch, stetig weiterentwickelt wird und an Überzeugungskraft gewinnt, die es braucht um uns unsere Realität so vorzuführen, dass wir ins Zweifeln kommen über die Welt und das Wahrnehmbare.
Einen augenzwinkernden Kontrapunkt setzt das „Planetarium“ auf dem zu einer Höhle umgebauten Balkon des Schnittraums. Die faltbaren, durchlöcherten Himmelskuppeln aus Pappe, die mit einer Lampe versehen zu einem Projektor werden, sind eine gemeinsame Kindheitserinnerung der Künstlerinnen, unterstreichen auch den einvernehmlichen Projektcharakter und erinnern uns nach den Einblicken in die Gedankenwelten der Künstlerinnen außerdem an unsere aller kosmische Identität.