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Лютий [lyutyy]

Nuria Kyseva & Daniel Gilmut & Mariia Denysenko & Gila Epshtein & Anastasia Khoroshylova & Borys Mysakovych


(EN: lyutyy DE: ljutij)
In der ukrainischen Sprache hat jede Monat einen besonderen Namen, welcher die Natur beschreibt und das natürliche Phänomen der bestimmten Jahreszeit erklärt. Лютий (gesprochen Ljutjj) ist das Wort für Februar auf Ukrainisch. Ljutjj ist der härtste Monat im Winter und kann auf Deutsch übersetzt werden als: schrecklich, streng, hart, gnadenlos. Am 24.02.22 hat der Krieg in der Ukraine ein erweitertes Ausmaß genommen und je länger der Angriff dauert, desto bedeutender wird dieses Datum. So hat sich die Ausstellung um dieses Thema gegründet. Die Ausstellenden
sind von dem Krieg persönlich betroffen – auf unterschiedlichen Ebenen, und möchten ihre Gefühle künstlerisch ausdrücken. Die KünstlerInnen haben unterschiedliche Hintergründe aber alle eine Gemeinsamkeit: der Krieg löst tiefe Emotionen in ihr aus, Geschichten über die Familie,
nostalgische Kindheitserinnerungen aus der Heimat, und vielleicht das Wichtigste: ein Gefühl der Zugehörigkeit. Diese Gefühle sind nicht von Nationalität begrenzt, denn jeder kann sie fühlen egal aus welchem Land man kommt.
Das Logo der Ausstellung besteht aus einem selbstgemachten Symbol der das Wort Lyutyy auf ukrainisch bezeichnet.

Nuria Kyseva
ohne titel / Comicbuch / 2023

Der Comic ist eine Sammlung von Momentaufnahmen. Beim Versuch wegzusehen, versinkt der Blick in die Umgebung. Allerdings kann man nicht zur Ruhe kommen. Zwischendurch schieben sich Momente von Brutalität wie Splitter ins Bewusstsein. Ablenkung suchend in Details, tastet der Bildband nach visueller Begegnung von Zeugenschaft und nach Gefühlen von familiärer Prägung.

Vor dem schlafen gehen / Buch / 2023



Worte können kaum beschreiben, was gerade vor sich geht. Im Gespräch über die Geschehnisse, haben die Künstler*innen zu Beginn Wörter gesammelt, um ihre Eindrücke einzuordnen. Es wurde täglich ein Wort pro Person notiert. Nach kurzer Zeit führte nur noch Nuria Kyseva das gemeinsame Tagebuch weiter. Für die anderen war es nicht möglich dabei zu bleiben und sich täglich mit der Thematik zu konfrontierten. Schweigen ist auch eine Reaktion auf den Krieg.


Performance / dauer: ca.2 min / 2023
Nuria Kyseva zeigt außerdem eine Performance über körperlich Eingeschriebenes. Keine (Fremd-)Sprache bietet einen Fluchtraum. Die Performance beinhaltet Textpassagen auf deutsch, französisch, englisch und russisch.

Gila Epshtein
Kyiv / Acryl auf Leinwand / 120 x 120 cm und sechs je 20 x 20 cm / 2023

Die Arbeit entsteht aus einem großen Leinwand und sechs kleineren Leinwänden, die unterschiedliche Straßen darstellen. Es sind Straßen der Hauptstadt Kyiv, auf das große Bild zeigt von oben abgebildet.
Die Bilder erinnern an ukrainische Stickereien, die traditionell als geometrische Formen in rot auf weißen Stoff gestickt werden. Die Straßen und Gebäude der Bilder werden durch klare Linien und Formen sichtbar und ermöglichen einen Überblick über die „Moskauer Straße“ und
weiterer belebter Orte Kyivs.

blood borsh / Installation Tisch, Teller, Suppe, Farbe, Löffel / 2023

Die Installation besteht aus einem gedeckten Tisch, auf dem ein Teller mit Borsch steht. Dieser ist eingefärbt und erinnert durch das tiefe Rot an flüssiges Blut. Borsch ist eine traditionelle Suppe mit Gemüse, Fleisch und roter Beete, die der Suppe ihre rote Farbe gibt. Die Suppe ist sehr verbreitet in slawischen Ländern und jedes Land hat eine leicht andere Variation. Der Ursprung der Suppe ist umstritten, ob Borsch aus der Ukraine oder Russland kommt, jedoch verweisen die erste Informationen auf das Großreich Kiewer Rus. Die Installation macht die Verwurzelung und das alltäglicher Erfahrbar. Das Gericht selbst ist so stark und tief im slawischen Raum verbreitet, dass verschiedenste Kulturen in der Region dieses Spieße als Teil der eigene Identität ansieht.

„плохо слышно“ (Schlechte Verbindung) / Video mit Sound / Russisch mit deutschen Untertiteln / 03:17 min / 2023

Die Arbeit besteht aus einem Dialog, aus dem russischen Film „Одесский пароход“ (2019). Die Szene wird durch Puppen animiert. Dadurch entsteht eine humorvolle, ironische Atmosphäre, die die Fehlkommunikation darstellt. Ein Mann und eine Frau telefonieren über eine öffentliche Sprechstelle und können einander kaum verstehen. Sie schreien sich gegenseitig an, obwohl sie unwissentlich neben einander stehen. Der Dialog endet als die Frau fragt, wann der Mann nach Hause komme und er antwortet er käme am 24..

Borys Mysakovych
bags / Soundinstallation, Fine Art Print 150 x 100 cm, Kopfhörer, MP3-Player / 9 min. (Loop) / 2023

Zentrum dieser Arbeit bildet eine Fotografie, die das Muster einer karierten Kunststofftragetasche abbildet. Diese Tragetaschen stellen für den Künstler Borys Mysakovych eine wichtige persönliche Metapher dar, denn mit solchen Taschen sind er und seine Familie 2002 nach Deutschland migriert. Das Muster dieser Taschen erinnert an traditionelle ukrainische Stickereien und Wandteppiche, so auch bei der hier abgebildeten Nahaufnahme. Jedoch ist das Muster mit diversen Fehlern und Glitches durchsetzt. Die Bildfehler sind nicht punktuell, sondern zufällig gesetzt. Die Fehler im Muster und die Nähe zu den Stickereien versinnbildlichen die brüchige ukrainische Identität des Künstlers und seine bruchstückhaften Erinnerungen an die Ukraine. Der Klang fügt sich zusammen aus einer Audioabtastung der abgebildeten Fotografie, die mithilfe einer Spezialsoftware ermöglicht wurde und einer Synthesizer-Komposition. Der Sound stellt den Versuch dar, die Erinnerungen an diese bedeutsamen Tragetaschen mit der Fotoarbeit in Verbindung zu setzen und sie zu interpretieren. Dadurch, dass eine Kunststofftragetasche erst fotografisch reproduziert, dann digital verändert, abgetastet und in ein anderes Medium transferiert und die Fotografie daraufhin gedruckt wurde, entsteht eine ironische Wendung, die an bürokratische Aufzeichnungs- und Archivierungsprozesse erinnert.

Anastasia Khoroshylova
Dnipro / Öl und Sprühlack auf Leinwand / 90 x 160 cm / 2023

Mit Destruktion und Wiederaufbau beschäftigt sich Anastasia Khoroshylova auf der Suche nach Identität zwischen Deutschland und der Ukraine. Das Bild stellt die Zerstörung eines Häuserblockes in Dnipro (Ukraine) durch eine russische Rakete dar. Die bunte Fassade wird durch dunklen Rauch überdeckt. Einige Hauseingänge weiter wohnten die Verwandten von Anastasia Khoroshylova. Die Nachricht erreichte ihre Familie am 14.01.2023.

ohne Titel / Skulptur / 110 x 110 x 75 cm / 2023

Zwischen Nachrichten aus dem Krieg, baut man sich täglich selbst auf. Die Skulptur zeigt den inneren Prozess, sich aufzuraffen und neue Kraft zu finden. Einzelne Teile fügen sich zusammen und verschmelzen ineinander. Sie blühen in sich auf, wie das Ausatmen vor Erleichterung. Und doch ist die Skulptur schwer und unvollkommen. Man befindet sich zwischen Unsicherheit und Hoffnung, dass der Krieg eines Tages endet.

Mariia Denysenko
ohne Titel / Installation / Koffer, mixed Media / 2022

Sich selbst nimmt man immer mit. Schon ihre Oma sagte: „от себя не убежишь“ ( „von sich selbst kann man nicht weglaufen“). Heute versteht sie, dass egal wohin man geht, die Heimat im Herzen mitgetragen wird. Ewigkeiten hat Mariia Denysenko die Heimat in der Außenwelt gesucht. Ohne Erfolg. Wie ist man zu dem Menschen geworden, der man jetzt ist? Diese Frage stellt sich Mariia Denysenko und beschäftigt sich mit der Assimilation und dem Wunsch einer Identität mit Einflüssen zweier Nationalitäten. Sie schätzt die gemachten Erfahrung und reflektiert gesellschaftliche Einflüsse. Kann man sich frei entfalten, oder begrenzen unsere Erfahrungen und Erwartung die Selbstverwirklichung? Man strebe so sehr nach dem „wer“, dass man das „wie“ aus den Augen verliere. Als die Ukraine am 24.02.2022 großflächig angegriffen wurde, ging es ihr sehr nah, auch wenn ein Teil sich weiterhin dagegen sträube es zu realisieren. In den zehn Jahren, die Mariia Denysenko schon in Deutschland lebt, hat sie nie auf ihr Leben in der Ukraine zurück blicken wollen. Jetzt kehrt sie an den Anfang zurück, um herauszufinden wer sie eigentlich ist.

Ich wollte nur das Licht… / Öl auf Leinwand / 100x 70 cm / 2023


Zwei Gefühle treffen aufeinander, die schließlich die gesamte Identität infrage stellen. Zum einen schwelgt man gerne in Kindheitserinnerungen, sieht die Sonnenstrahlen, die das Kinderzimmer erleuchteten und riecht Omas frisch gekochte Suppe, als würde sie vor einem stehen. Zu anderen bleibt man in der Realität und kann ihr nicht entfliehen. Man wird mit Tod, Zerstörung und Leid konfrontiert und lernt damit umzugehen. Trotzdem bleibt man machtlos.

Daniel Gilmut
untitled 15 / Stahlstäbe auf Holzgestell / 90 x 200 cm / 2023

Ein Bett ohne Wärme — Die Hoffnung, sich eines Tages auf eine weiche Matratze fallen lassen zu können. Das Bett aus dem Kinderzimmer ist ein persönlicher Gegenstand, auf dem sechs Spieße liegen, die einen „Mangal“ andeuten. Die üblich als Grillwerkzeug benutzten Spieße werden zu Schwertern. Der Wunsch sich fallen zu lassen erlischt.