Seitenstrasse
Ausstellungseröffnung 22.10.2012
Text von Jasmin Meinold
Sperrgebiete
Großstadt: Menschen passieren eine Fußgängerbrücke von links nach rechts. Hinter ihnen fahren auf einer weiteren Brücke zwei Züge in die gleiche Richtung. Durch eine Absperrung in der Bildmitte sieht man Autos auf einer mehrspurigen Straße in der Tiefe verschwinden. Der Strom der Bewegung scheint nicht abzureißen.
Allen ist in diesem Wegeleitsystem ein eigener Raum zugewiesen worden: Absperrung, Geländer und Bodenmarkierungen trennen die einzelnen Verkehrsteilnehmer von einander. Diese Zuordnungen werden akzeptiert, niemand dringt in den Bereich des Anderen ein.
Trotzdem scheinen sich alle in die gleiche Richtung zu bewegen und die Anweisung eines Wegweisers in der oben rechten Ecke zu missachten.
Mittels Schnitt verdichtet Annemarie Blohm in „Brücke“ (2012) diese Situation, und lässt sie durch den Loop ins Absurde laufen. Wie sehr stadtplanerische Entscheidungen eine Rhythmisierung von Bewegung und öffentlichem Leben bewirken und damit auch einer Disziplinierung der Körper zuarbeiten, wird durch die filmischen Mittel sichtbar gemacht. Durch ihr eigenes Eingreifen in Geschwindigkeit und Abfolge schafft die Künstlerin Intervalle und manipuliert so nicht nur die vorgegebenen Strukturen sondern auch die Wahrnehmung der Rezipienten.
Der Bewegungsfluss von Fußgängern parallel zum statischen Kamerabild ist auch in einer früheren Videoarbeit der Künstlerin Motiv. In „Vorm Wald“ herrscht vor der Kulisse eines Waldes ein geschäftiges Kommen und Gehen, ganz so wie auf einer Straße in der Stadt. Auch in Mandy Krebs Arbeit „Städtchen“ geht es um Strukturen der Abgrenzung und Fragen von Zugänglichkeit im öffentlichen Raum. In einem Berliner Stadtteil bewachen Männer in NVA Uniform ein versiegeltes klassizistisches Gebäude und geleiten Passanten durch die Straßen. In Zwischenblenden erzählt ein sachlicher Text von der Situation in diesem Sperrgebiet, das lediglich mittels Passierschein betreten werden kann. Standbilder porträtieren friedlich daliegende Stadtvillen, moderne und restaurierte Gebäude, eingerahmt von Parkstreifen.
Der Ton verstärkt zusätzlich den idyllischen Eindruck. Mit Hilfe dokumentarischer Darstellungsverfahren und Reanactment erzählt der Film fragmentarisch die Geschichte des Ortes, ohne diese näher zu Erläutern:
In der DDR war der Majakowskiring zeitweise ein stark bewachtes Wohngebiet für Militär- und Regierungsmitglieder, mit eigener Infrastruktur und hohen Sicherheitsauflagen. Bis 1973 war er Sperrgebiet, nach Auflösung des Staates entwickelte sich die Straße wieder zu dem bürgerlichen Wohnviertel, welches es zuvor gewesen war. Der Ort wurde nicht historisiert, Spuren der Vergangenheit aber auch nicht beseitig, wie es mit anderen Gebäuden der DDR Regierung geschah. So sind die in „Städtchen“ sichtbar werdenden architektonischen Gegebenheiten durch zeitgenössische und historische Bauelemente geprägt.
Die Arbeit unternimmt keine Vermittlung des spezifischen politischen Hintergrunds. Vielmehr geht es der Künstlerin um eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Aktualität einer solchen Wohnstruktur und der Erfahrung, in dieser zu leben. Die Geschichte des Abriegelns bestimmter Gebiete im urbanen Raum folgt zwei gegensätzlichen Traditionen – der Gettoisierung und der Errichtung von Gated Communities, deren Zahl seit den 1970er Jahren weltweit zunimmt. Als Zwangsansiedlung oder freiwilliger Rückzug zeichnen sich diese Lebensräume durch eine starke Homogenität ihrer Bewohner, sozialer Segregation und der Abgrenzung gegenüber dem Umfeld aus. Fand zu DDR Zeiten die Absicherung der nach sowjetischem Vorbild errichteten „Städtchen“ durch militärisches Wachpersonal statt, übernehmen heute Sicherheitsanlagen, Überwachungskameras und private Wachgesellschaften diese Arbeit.
Beide Künstlerinnen zeigen in ihren Arbeiten Versuche kleiner oder großer Machtmechanismen auf, den Stadtraum auf unterschiedliche Weise zu Ordnen und so zu kontrollieren. Dabei kommen beide Arbeiten ohne die menschliche Stimme aus – Annemarie Blohm beobachtet fast unbemerkt die Passanten aus einer kommentar- und tonlosen Distanz, während die Darsteller in Mandy Krebs Video verkleidet oder in zivil stumm zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu schweben scheinen. Diese Sprachlosigkeit lässt sie zu Protagonisten eines Apparates werden, den sie selbst nicht als solchen wahrzunehmen scheinen, beziehungsweise dessen Strukturen und Absurdität sie nicht in Frage stellen.