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Lisa Seebach / Margarete Albinger

Heim und Hasen

Ausstellungseröffnung 31.01.2013

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Flyer

Text von Viktoria Kramer

Heim und Hasen. Mensch, Tier, Tod.

Im sechsten bis elften Gesang Dantes göttlicher Komödie treffen Dante und Vergil im dritten Höllenkreis auf die Seelen der Gefräßigen. Im eisigen Regen liegen diese auf dem Boden und werden vom Höllenhund bewacht und geschunden. Noch während der weiteren Bootsfahrt erblicken die Dichter am anderen Ufer die Höllenstadt, die von Teufelslegionen bewacht wird. Sie verwehren den beiden Wanderern den Zugang, doch zur Rettung erscheint ein Engel und schließt mit einem Zweig das Tor auf. Er verkündet, dass Dantes Reise den Segen Gottes hat und er sich auf dem rechten Weg befindet.
In brennenden Särgen büßen die Ketzer im sechsten Kreis, die sich nach dem Gericht im Tal schließen. Bei der Bestrafung der Bewohner wird differenziert: Zwischen Unmaß, dem verwirrten tierischen Trieb und der banalen Bosheit.1

„Heim und Hasen“ behandelt ein Thema, das wenig dominant aber dennoch immer stärker in einen aktuellen und für unser Zusammenleben relevanten Rahmen des Diskurses tritt.
Anders als Dante es meint, symbolisiert die Haltung des domestizierten Tieres, speziell des Haustieres in der gegenwertigen zivilisierten Gesellschaft eine ganz besondere Nähe zu einem faszinierenden sowohl menschenähnlichen als auch menschenfremden Wesen. Menschenähnlich, weil ihm pausenlos menschliche Attribute und Verhaltensweisen zugeschrieben werden und unterdessen wird jedes teuflische und unerwünschte menschliche Merkmal und Makel an dieses Wesen weitergegeben, als ,tierisch‘ klassifiziert und vom menschlichen abgegrenzt. Bekannt sind Bezeichnung des beispielsweise ,menschlichen‘ oder ,unmenschlichen‘; in unserer Gesellschaft stark negativ konnotierte Verhaltensweisen werden grundsätzlich in die Sparte des tierischen Vokabulars gesetzt, so kann es folglich vorkommen, dass man frisst wie ein ein Schwein oder wie Tiere übereinander herfällt. Vor dem Hintergrund dieser sprachlichen Phänomene scheint der Mensch außer Acht gelassen zu haben, dass auch er ein Säugetier ist, verweist damit aber auch zugleich auf eine Herkunft von der er sich abzuheben sucht und die gegenwärtig nicht unnötige Aktualität gewinnen darf.

Mit dem „Totenhaus A“ deutet Lisa Seebach einen Moment der Verwandlung des Menschen in eine andere Materie an. Eine Art Auflösung in ein vogelähnliches Wesen, das kausal dem Himmel näher ist als der Mensch, findet statt. Es behandelt somit unweigerlich den Tod als etwas, das beide, also den Tod und das Tier in ihrer Härte verbindet. Mit dem Tod, genauer mit der Ungewissheit des Lebens und jeglicher irdischer Ziele und Lebensphasen nimmt es Margarete Albinger durch ihre Murmeltiere auf dem Halma-Spielfeld auf. Während die Verwandlung des Menschen zum vogelartigen Tier in ihrer Ästhetik und Materialität etwas grausiges im Sinne des Tieres als unberechenbares Unbekanntes hat, eröffnen viele kleine Murmeltiere eine Realität, die uns auf eben diese Unberechenbarkeit des Lebens hinweist.
Eine Faszination für das Tier herrscht vor, wenn auch nicht unkritisch:
War das häusliche Dasein des Tieres seit der Kultivierung der wilden Natur ausschließlich einer Existenz als Nutztier vorbehalten, genießt es heute insbesondere in unseren Breitengraden zunehmenden Respekt.
Als festes Glied gehörte das Tier seit seiner Domestizierung der Gemeinschaft an und sorgte für ihr Überleben. Durch Gabe von Lebensmitteln (Milch, Eier, Fleisch, etc.), Schutz vor Kälte (Verbindung von Stall und Wohnraum zum gegenseitigen Wärmeaustausch), unbefugtem Zugang, Raub (Hund) oder gefräßigen Nagetieren (Katze) wurde es in den seltensten Fällen und meist nur von den jüngeren Familienmitgliedern, als Kuscheltier ,missbraucht‘. Heute bringt die profane Gegenbewegung wider die Einsamkeit das Tier in eine elitäre Position, wo seine Existenz und Lebensaufgabe (für den Menschen) essayistisch aufgearbeitet wird. Entgegengesetzt läuft aber auch das vereinsamte Herrchen oder Frauchen Gefahr, es in ihrer/seiner Fürsorge zu übertreiben und das Tier auf eine latente aber nicht weniger gewaltvolle Art leiden zu lassen.

Die Köttel eines Hasen können, an falscher Stelle verblieben, verärgern, dennoch vermögen die skulpturalen Hinterlassenschaften Bewunderung ernten. Bewunderung zum einen für solch eine für das menschliche Auge ungeahnt amüsante Form der Ausscheidung, die aber unweigerlich und zum anderen in die Lebens- und Daseinsform des Tieres (des Hasen) führt: Die Einfachheit der Existenz, die oft auch durch die simple Beobachtung einer sich sonnenden Katze in eine Sehnsucht mündet. Wie ist es wohl? Ob man sich auch als Katze einen Wecker zum in der Sonne entspannen stellt? Diese Sehnsucht nach der Einfachheit, die meint uns Mensch zurück zum Ursprünglichen führen zu können, trägt ihre Referenzen in zahlreichen Lebensmodellen, Religionen und Strömungen. Und dennoch scheint sie dem ehrgeizigen, auf eine Hinterlassenschaft, die mehr als Kot materialisiert, fixierten Menschen in seiner Umsetzung Probleme zu bereiten.

Dennoch war die Entdeckung der heilsamen Nähe des Haustieres eine revolutionäre Erleuchtung für die menschliche Seele. So symbolisiert die Anhäufung von Kuscheltieren in einem Kinderbett eben diese Heilkraft und die verniedlichte Tatsache, das sich der Mensch gern mit dem Tier umgibt (wenn auch nicht mit seinem inneren Schweinehund). Und trotzdem ist ein Kuscheltier auch immer ein Ersatz für einen menschlichen Freund, einen Gefährten und Begleiter. Oft sogar bis zu seinem Tod und darüber hinaus. Beispielhaft verbildlicht dies der neue Berlinale-Film „Workers“ von José Luis Valle in seiner drastischen Ironie fast übertrieben und doch erschreckend realistisch: Hier erbt Princess nach dem Tod ihrer Hausherrin das gesamte Vermögen. Princess ist die Hündin der verstorbenen Dame.2
Menschen brauchen Tiere, sie brauchten sie schon immer. Heute spaltet sich die Würde und Anerkennung des Tieres seitens des Menschen immer mehr auf: in Biofleisch und artgerechte Haltung, Tierquälerei und Vereinnahmung des Wesens für die eigenen Zwecke.

Princess soll schließlich getötet werden, damit ihr Erbe an die Hausangestellten weiterwandern kann, bevor sie diese überlebt. Und Dantes monströses gefräßiges Höllentier, das nicht selten vom Menschen Besitz zu nehmen scheint, ist nur eine Rolle in die das wendige Tier, Haustier, domestizierte Tier, für uns Menschen zu schlüpfen in der Lage ist.

Text anlässlich der Ausstellung „Heim und Hasen“ von Lisa Seebach und Margarete Albinger. Schnittraum, Braunschweig 2013

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