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Lucie Mercadal / cylixe

Spazierfang

Ausstellungseröffnung 01.11.2013

Werkgespräch mit Meike Mia Höhne

lucie

musak

Flyer

Texte von Lisa Grolig

Der Ausstellungstitel spiegelt jenen spielerischen, fast schon unbekümmerten Umgang mit den Banalitäten des Alltäglichen, die gleichzeitig Auslöser und Beginn einer jeden Arbeit beider Künstlerinnen sind. Lucie Mercadal und cylixe sind leidenschaftliche Jägerinnen des Zufalls und des Absurden.
Sie begeben sich nicht bewusst auf eine Suche, sondern halten Ausschau, liegen auf der Lauer, sind in einem permanenten Schwebezustand zwischen Aktivität und Passivität. Die Bewegung im öffentlichen Raum bringt immer einen temporären und merkwürdigen Bezug zur Realität mit sich, um den es in ihren Arbeiten geht, sagt Lucie. Und schließlich ist die Öffentlichkeit jener Ort, an dem man dem Zufall so begegnen kann wie einem alten Freund. Und tatsächlich war der Zufall bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts fester Bestandteil der dadaistischen Auffassung von Kunst, wurde zum Gesetz aller Gesetze erhoben und zum Kompass des eigenen Schaffens. Nur wer den Zufall befolgt erschafft reines Leben, sagte Hans Arp.
Lucie und cylixe entscheiden sich immer wieder aufs Neue für den bewussten Ausbruch aus der Rationalität. Mit allen Konsequenzen. Die ertragen sie gerne. Nur selten sieht cylixe ein fertiges Konzept oder Werk. Während sie auf der Lauer liegt, sich auf jeden Moment und jede Unruhe einlässt, scheint es sich fast von selbst zu erschaffen. Spazierfang ist eine Wortneuschöpfung, die aus dem bewussten Zerlegen zweier Worte hervorgeht und auf diese Weise ebenso bewusst einen neuen Raum und neue Beziehungen evoziert. In diesem Raum experimentieren Lucie und cylixe mit filmischen Stilmitteln, mit Erwartungen und Enttäuschungen, Licht und Schatten, Innen und Außen, Stille und Lärm, Gegenwart und Vergangenheit, Sakralem und Profanem, Illusion und Realität, Albträumen und Erkenntnis. Manchmal bleiben sie dokumentarisch, fast schon nüchtern aber niemals unkritisch.

Zur Arbeit o.T. (riechen) von Lucie Mercadal, 2013
Und wenn ich nichts hätte.
Erkenntnis hätte ich.
Würde dich sehen und erkennen.
Und wenn ich nichts wollen würde,
nichts brauchen, nichts verlangen.
Ich wäre nicht verlassen.
Weiß, wohin ich gehöre.
Kenne den Weg nach Hause
und ich weiß wo du bist.
Keine Geheimnisse und
kein Verstecken.
Keine Steine auf meinem Weg.
Und wenn ich nichts hätte.
Gewissheit hätte ich.
Würde dich lesen wie ein Buch.
Und wenn ich nichts fragen würde,
nichts antworten, nichts sagen.
Nichts bliebe unklar.
Glasklar liegt die Welt vor mir.
Nichts fehlt und nichts ist zu viel.
Niemals muss ich mich entscheiden.
Nie einen Kompromiss eingehen.
Nimm meine Hand.
Und was es mir gibt,
ist das was bleibt.
Der letzte Gedanke.
Und der erste.
Ich erinner mich an uns
für immer.

Zur Arbeit mitternacht c-moll von cylixe, 2013
Ein Park. Dunkel und verlassen. Nur wenig Licht dringt durch die dichten, tief hängenden Bäume. Keine Menschenseele. Hier setzt cylixe den Betrachter aus. Lässt ihn zurück in einem Zustand des Abwartens und des Erwartens. Viel zu lange. Zitternde Bäume und herab fallende Blätter zeigen zumindest, das die Zeit noch nicht stehen geblieben ist. Und plötzlich sind sie da.

mitternacht c-moll ist wohl zunächst das, was man als klassische Geisterstunde beschreiben könnte. Eine verlassene Lichtung wird die Bühne eines Geistertanzes. Einem Theatervorhang gleich rahmen die umstehenden Bäume die Szenerie ein. Von oben fällt ein dumpfer Lichtkegel in die Bildmitte und lässt den Betrachter wissen, das das Stück nun beginnt. Nach leisen Sekunden erobern schließlich 40 scheinbar körperlose Wesen halb tanzend, halb schwebend die Bühne. Zeitgleich atmet eine Orgel düstere Akkorde aus.
Die Komposition aus Bild und Ton ist wohl durchdacht. Die unbewegte Kameraeinstellung unterstreicht den performativen Charakter des Stücks. Dunkle Pausen drehen immer wieder alles auf Null und der Betrachter findet sich wie zu Beginn mitten im Ungewissen des Waldes. Kaum ein anderes kulturelles Phänomen wehrt sich so hartnäckig gegen die Enthüllung seiner mythischen Unerklärlichkeit wie der Geisterglaube. Die Existenz von Gespenstern kann weder eindeutig belegt noch vollständig ausgeschlossen werden. Falsch dosierte Medikamente können ihr Erscheinen ebenso hervorrufen wie der tiefe, wahrhaftige Glaube. Oder eben der Protest gegen den Leerstand und die Vergeisterung einer Gemeinde in Niedersachsen.
cylixe entzieht sich dem jahrhundertealten Konflikt und konfrontiert den Betrachter unmittelbar mit der Anwesenheit von Geistern, denen es nicht nur um die Verbreitung von Angst und Schrecken geht, sondern die eine Botschaft transportieren, die irdischer nicht sein könnte. Als eine Andacht auf die Ästhetik des Unbestehenden beschreibt die Künstlerin selbst die eigenartige Zusammenkunft da im Wald. Und plötzlich bleibt von der Geisterstunde nichts
Unheimliches, kaum etwas Künstlerisches mehr. Der traurige Rest ist die Manifestation eines Zustandes, der alles bedeuten kann. Nach 40 Minuten fällt der Vorhang und der Spuk ist vorbei.